Charlotte Oberberg ist mit einhunderteins gestorben

Wer das Vergnügen hatte, Frau Oberbergs 100. Geburtstag vor knapp zwei Jahren an der Charlottenstraße mitzufeiern, dachte sich vielleicht: So möchte ich auch gerne mal werden. Elegant, aufmerksam, humorvoll und höflich nahm sie die Honneurs entgegen und bezauberte damit die anwesende Gesellschaft. Nun ist sie am 26. Februar 2025 im Alter von 101 Jahren gestorben. Als Tipp, so lange zu leben, riet sie zum Verzehr einer täglichen Banane. Das hatte ihr die Tochter vor vielen Jahren empfohlen – und sie hielt sich daran. Mindestens genauso lebenserhaltend war ihr Einsatz im Dienst der guten Sache.

Seit 1983 befand sie sich im Ruhestand. Und war seitdem noch unermüdlicher im Einsatz für Gerechtigkeit und Menschwürde. Ihr Tätigkeitsradius kannte kaum Grenzen. Die Alternative Liste sah sie als Gründungsmitglied, sie saß im Bezirksparlament als Verordnete, den Verein Brückenschlag für generationsübergreifendes Wohnen vertrat sie an vorderster Stelle., beim Berliner Mieterverein war sie viele Jahre Bezirksleiterin von Kreuzberg und engagierte sich bis zuletzt in der Aktivengruppe Friedrichshain-Kreuzberg.

Für ihr großes Engagement wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz und der Verdienstmedaille des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg.

Charlotte Oberberg arbeitete im Rathaus Kreuzberg und wurde dort Personalrätin. Den Bezirk kannte sie durch ihr Engagement besonders gut. Niemand musste ihr lang erklären, worum es bei den Hausbesetzungen in den frühen 80er-Jahren ging. Sie wohnte in dieser Zeit am Kottbusser Tor. „Ich bin einfach in die besetzten Häuser reingegangen und fragte, was gebraucht wird.“ Befangenheit war ihr fremd, wenn es darum ging, Menschen zu unterstützen, die sich gegen Behördenunsinn zur Wehr setzten. „Sie haben viel mehr geleistet als die vielen Leute, die das verhindern wollten. Die Kahlschlagsanierung war ja keine Fata Morgana, sondern fand vor unseren Augen statt.“

Was sie besonders gut konnte, war, sich zu beschweren – bei den richtigen Leuten: den Leitenden Angestellten der BVG, den Verantwortlichen beim Bezirksamt, beim Bischof. Dazu stand sie auf der Straße, sammelte Unterschriften und übergab die Stimmen derjenigen, die nicht gehört werden sollten. Damit gelang ihr etwa die Durchsetzung eines Tempolimits und barrierefreier U-Bahn-Zugänge. Sie protestierte gegen das GSW-Hochhaus gegenüber ihres Seniorenhauses oder setzte sich für die Errichtung von Ampeln ein.

Charlotte Oberberg 2024 in ihrer Wohnung in der Charlottenstraße 85.

Foto: Gundel Riebe

Und nicht zuletzt war sie lange Jahre Mitglied in der Seniorenvertretung Friedrichshain-Kreuzberg. Ihre letzte Amtszeit endete 2022, – da war sie schon fast hundert Jahre alt und über dreißig Jahre für unser Gremium tätig.  Miete und Wohnung – dafür kämpfte sie. Was in ihrer unmittelbaren Umgebung sich abspielte, beobachtete sie besonders und reagierte darauf. Deshalb kümmerte sie sich auch um die Zustände in ihrem Wohnhaus und war Ansprechpartnerin für die Nöte ihrer Mitbewohnerinnen.

Kreuzberg war ihre Heimat, die sie nicht verlassen wollte. Als es in Buckow endlich das generationenübergreifende Wohnprojekt „Hofje“ gab, wofür sie sich lange eingesetzt hatte, zog sie nicht in die grünere Vorstadt, sondern blieb im Kiez: „Kreuzberg ist mir ans Herz gewachsen.“

Die letzten Jahre im ehemaligen Seniorenwohnhaus an der Charlottenstraße waren nicht mehr die reine Freude. Charlotte Oberberg musste miterleben, wie das Bezirksamt sich aus der Verantwortung zog und den Status als besondere Stätte für die Älteren nicht mehr so garantieren wollte und auch nicht mehr als Vermieterin fungieren konnte. Charlotte Oberberg hielt das immer für eine Ausrede. So landete das Haus mit ca. 120 Wohnungen letztendlich bei der „Deutsche Wohnen“ und verlor seinen rechtlichen Status als Seniorenwohnhaus, was auch Charlotte Oberberg nicht verhindern konnte.

Frau Oderberg war nichts zu viel. Schlechte Laune kannte sie kaum. Ihre Hartnäckigkeit verband sich mit Mut und Sicherheit, auf der richtigen Seite zu stehen. Vor allem hatte sie Freude, sich einzusetzen, Hindernisse zu überwinden und eine Niederlage auch mal wegzustecken.

Kreuzberg hat eine Dame verloren, die sich ins Herz des Bezirks eingelebt hat. Wir wollen sie in Ehren halten und sie als Vorbild im Gedächtnis bewahren.

Kreuzberg hat eine Dame verloren, die sich ins Herz des Bezirks eingelebt hat. Wir wollen sie in Ehren halten und sie als Vorbild im Gedächtnis bewahren.

Reiner Schweinfurth

Quelle: Mietermagazin Mai 2023

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